Wenn Eltern nicht hören wollen
Hörbehinderung betrifft nie nur eine Person allein, sondern auch das Umfeld. Doch wie vorgehen, wenn sich Angehörige nicht zur Versorgung mit Hörgeräten bewegen lassen?
«… und plötzlich hat er es einfach gemacht! Da haben wir jahrelang auf ihn eingeredet und so viel versucht…und jetzt hat er es einfach gemacht! Ohne auch nur einen Ton zu sagen, hat er nun ein Hörgerät! Und am letzten Wochenende war es so viel besser. Er hat so viel mehr verstanden», so ein 50-jähriger über seinen Vater.
Egal wie stark eine Hörbehinderung ausfällt, sie betrifft niemals nur eine Person allein. Nicht nur der oder die Hörbehinderte selbst leidet unter dem Hörverlust. Nein, es ist immer auch das Umfeld von diesem mitbetroffen. Auch wenn eine Hörbehinderung nur gering zu sein scheint oder sich erst schleichend im Alter entwickelt…das Umfeld ist immer «mit-schwerhörig». Denn es leistet ebenfalls einen erhöhten Mehraufwand, muss ebenfalls Einfühlungsvermögen, Verständnis und Geduld aufbringen.
Das oben erwähnte Zitat lässt zudem eine weitere Besonderheit deutlich werden: Die besten Absichten sind umsonst, wenn die betreffende Person ihre persönliche Situation anders bewertet. Wenn sie die Einschränkung vielleicht gar nicht als solche anerkennt, diese nicht zu akzeptieren scheint. Vielleicht jedes Gespräch darüber sofort abbricht und offenbar so gar keine Einsicht zeigt.
Zusätzlich verkomplizieren die bestehenden familiären Bindungen das noch. Denn nicht selten handelt es sich bei den betroffenen Angehörigen um die eigenen Eltern, Grosseltern, Verwandten oder andere nahestehende Personen. Vielfach haben sie ihren Platz in der Familie, wie auch in der Gesellschaft schon lang inne, geniessen Respekt und Vertrauen. Da fällt es vielen Angehörigen schwer, sie auf eine Einschränkung hin anzusprechen oder mit dem Wunsch zu konfrontieren, einen Spezialisten aufzusuchen.
Was bleibt also?
Fassen Sie dennoch Mut und suchen Sie das Gespräch mit Ihren schwerhörigen Eltern oder Freunden. Denn insbesondere bei Hörbehinderungen, die über einen längeren Zeitraum nicht technisch versorgt sind, sind die Langzeitfolgen massiv: Die Strukturen im Gehirn, welche für das Hören zuständig sind, bauen sich ab und die fürs Hören notwendigen Filterfunktionen bilden sich zurück. Nicht zuletzt gilt Altersschwerhörigkeit als ein Hauptrisikofaktor für Altersdemenz und birgt im Zusammenhang mit dem vielfach zu beobachtenden sozialen Rückzug eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Entwickeln einer Altersdepression.
Wagen Sie den ersten Schritt. Sorgen Sie nach Möglichkeit für einen geeigneten Raum, einen geeigneten Zeitpunkt und eine geeignete Gelegenheit, um Angehörige anzusprechen.. Starten Sie einen Versuch, auch wenn Sie Widerstand erwarten. Dies erfordert Fingerspitzengefühl und Geduld. Formulieren Sie Ihr Anliegen aus Ihrer eigenen Perspektive und Betroffenheit. Berichten Sie beispielsweise von konkreten Missverständnissen und Situationen, an welchen Sie selbst beteiligt waren. Überbringen Sie nicht Aufträge anderer Personen. Versuchen Sie nicht zu missionieren oder «zu überreden». Seien Sie so ehrlich und offen, wie es Ihnen möglich ist und gehen Sie dennoch behutsam vor. Wenn es Ihnen gelingt, «da» zu sein und zuzuhören, ist schon ein grosser Schritt in die richtige Richtung getan. Belassen Sie die Entscheidung in jedem Fall bei dem/r hörbehinderten Angehörigen. Andernfalls kann sich kaum eine befriedigende erste «Hörgeräte-Erfahrung» einstellen.
In vielen Fällen braucht es Geduld auf beiden Seiten. Häufig sind auch mehrere Mut machende Gespräche nötig, bis die neue Situation vom Betroffenen soweit anerkannt und akzeptiert ist, dass ein Schritt zum Ohrenarzt respektive Akustiker unternommen werden kann.
Aktiv werden
Dann dürfen Sie gern aktiv werden. Wenn die betroffene Person selbst ihre Bereitschaft äussert oder signalisiert, einmal zu einem HNO-Arzt, Akustiker oder einen Informationsabend gehen zu wollen. Dann sind konkrete Hilfestellungen jeder Form sicherlich gern gesehen: Ihre Mutter ist nicht klar, was für Geräte infrage kommen könnten? Einige Broschüren oder die im Internet präsentierten Produktpräsentationen der Hersteller helfen vielleicht schon etwas weiter. Ihr Grossvater hört zu schlecht, als dass er selbst einen Termin beim HNO-Arzt abmachen kann? Allenfalls vereinbaren Sie gemeinsam mit ihm einen solchen. Ihr Vater ist zu wenig mobil, um zu einer Erstabklärung zu fahren? Vielleicht können Sie ihn begleiten? Pragmatische und unkomplizierte Unterstützung wird in dieser Phase meistens gern angenommen.
Nach diesen Ausführungen möchte ich mich kurz noch an die Betroffenen selbst wenden: Eine sich entwickelnde Hörstörung stellt in jedem Lebensabschnitt eine grosse Herausforderung dar. Ich wünsche Ihnen Mut, Kraft und Durchhaltevermögen, sich dieser zu stellen. Seien Sie es sich wert und sorgen Sie für die bestmögliche Lebensqualität!
Sollten Ihre Angehörigen Sie einmal auf die Schwerhörigkeit ansprechen oder Sie bereits angesprochen haben… in den allermeisten Fällen können Sie dies als Zeichen ihrer Fürsorge verstehen. Denn ein solches Gespräch fällt niemanden leicht. Und mit wem sonst würden wir dieses führen, wenn nicht mit jenen Personen, welche uns lieb und teuer sind?
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